Interview: Veit Heinichen über seine Krimis und Triest

„Triest ist der Prototyp einer europäischen Stadt,“ sagt der deutsche Autor Veit Heinichen in diesem Interview. In Triest lässt er seinen gleich emotionalen wie schusseligen Commissario Laurenti ermitteln, der ihm regelmäßig in die Buch-Bestsellerlisten bringt.

Frage an den Krimi-Autor: Ist Triest eine Hochburg der Kriminalität?

Ganz sicher nicht. Die Stadt ist Schlusslicht der italienischen Kriminalstatistik. Wer seine Versicherung mit fingiertem Handtaschenraub oder Autodiebstahl betrügen will, sollte sich besser einen anderen Ort aussuchen. Hier passiert einfach nichts, was mit Kleinkriminalität, wie sie ja anderswo oft Touristen trifft, zu tun hat. Womit man hier zu tun hat, ist eine andere Art von Kriminalität, eine, die – der Lage der Stadt entsprechend – mit dem Hafen zusammenhängt. Und mit den Grenzen, an denen gefälschte Markenware, geschmuggelte Zigaretten und sogar illegale Billig-Särge vom Balkan nach Westeuropa verschoben werden. Und Menschen. Das alles wird durch internationale Organisationen und graue Eminenzen von anderswo gesteuert. Und außerdem verfügt die Stadt über eine auffällig hohe Dichte an Finanzinstituten.

Wie kam es zu der Faszination, die Triest auf Sie ausübt?

Als ich die ersten Male hierher kam, habe ich noch gar nichts von der Stadt verstanden. Es gibt es in Europa keine komplexere Stadt als Triest, über 90 Ethnien haben sie zusammen aufgebaut. Sie war lange Jahre eine Stadt, in der man Karriere machen konnte wie sonst nur in Amerika. Karl Marx hat auf die Frage, warum das Wiederaufblühen der Adria-Schifffahrt nicht in Venedig, sondern in Triest passierte, einmal gesagt, Triest sei frei von der Last der Vergangenheit. Das bunte Völkergemisch, das hier ankam, hatte einen gewaltigen Boom initiiert. Viele, die damals arm ankamen, wurden rasch reich. Etwa der Baron Revoltella, Sohn eines venezianischen Metzgers, der im Alter von vier Jahren mit seinen Eltern in die Stadt kam. Er brachte es zu immensem Reichtum, wurde so etwas wie ein europäischer Rockefeller und Vizepräsident der Suez-Gesellschaft. Damit hat er zum letzten Boom des Triestiner Hafens beigetragen, der durch den Bau des Suezkanals ermöglicht wurde. Diversität bringt Reichtum, das lernt man hier zu begreifen. Und dass Gegensätze anziehen. Erst wenn man das verstanden hat, beginnt die Faszination, die Triest ausübt. Triest ist der Prototyp einer europäischen Stadt.

Wirklich schön oder gar lieblich wirkt Triest ja kaum.

Die Stadt ist keine sich aufdrängende vordergründige Schönheit, vielleicht ist sie dafür zu jung. Aber Triest ist das ideale Reiseziel für alle an Europas Geschichte interessierte Menschen. Als die Stadt 1719 Freihafen wurde, hatte sie bloß 4.500 Einwohner, von der griechischen und römischen Vergangenheit wusste man damals überhaupt nichts. Die kam erst 1934 zum Vorschein, als man die scheußlichen Bauten am Rande der Altstadt, also auch die Questura, in der mein Kommissar Proteo Laurenti seinen Schreibtisch hat, errichtete. Damals kam auch die römische Arena zum Vorschein. Mit der geschlossenen Schönheit von Städten wie Siena oder Ferrara hat das alles überhaupt nichts zu tun. Gerade wurde und wird die Altstadt fertig renoviert – in den Fünfzigern wurde sie geräumt und verfiel. Erst seit kurzem kommt wieder Leben ins Viertel um die Via Cavana. Überhaupt, was man in letzter Zeit in Angriff nimmt, kommt an.

Sie werden oft mit Donna Leon verglichen. Sind Sie jetzt dort, wo Sie hinwollten?

Ein unnötiger Vergleich. Der Kriminalroman ist für mich ein adäquates Mittel, um die Gegenwart, die moderne Gesellschaft zu schildern. Seit sich vor rund 40 Jahren der soziale Kontrakt, der unsere westliche Gesellschaft verbunden hat, aufzulösen begann, gibt es kaum mehr Nachrichten, in denen nicht ermittelt wird. Ob Korruption, Bilanzfälschungen oder Spekulationen an der Börse, ob Plagiat in der Kunst oder Doping im Sport: Unsere Welt respektiert heute, dass gegen Gesetze verstoßen wird. Ein Sachbuch wäre im Moment seines Erscheinens veraltet, eine Reportage in einer Zeitschrift hätte kaum den Raum, um Phänomene wirklich darzustellen. Außerdem geht es mir ja nicht darum, kriminalistische Fakten gerichtsfähig zu machen, sondern aufzuzeigen, wo wir alle mittendrin stecken.

Also weg vom Klischee des einsamen Helden, der einen Täter überführt?

Danke, genau das ist es. Nichts gegen Krimihelden im Fernsehen, das sind oft gut gemachte Filme. Aber sie sind unglaubwürdig. Todlangweilig und erzählerisch falsch. Ich bemühe mich, Leben zu schildern, und nicht isolierte, abgehobene Wesen. Der Roman war immer ein Spiegel eines Raums und einer Epoche. Mit seiner Hilfe kann es gelingen, die moderne Gesellschaft zu verstehen. Im Gegensatz zu den Nachrichten darf ein guter Roman Wahrheit nicht unterschlagen.

Wie legen Sie Ihre Recherchen an?

Ich spreche mit allen Gruppen, die mit dem Thema zu tun haben. Mit Tätern, Ermittlern und Opfern. Aber auch mit allen, die am liebsten wegschauen. Am leichtesten sind Täter zum Sprechen zu bringen, weil sie präpotent sind und nicht denken, dass man auch andere Informationen hat und eins und eins zusammenzählen kann. Bei den Behörden braucht man jemand, der einem vertraulich weiterhilft, denn wenn man alles ganz offiziell macht, erfährt man nur das, was in der Zeitung steht. Am schwierigsten ist die Recherche bei den Opfern, weil da oft nackte Angst herrscht. Da benötigt man Geduld und Hilfe, um das nötige Vertrauen aufzubauen, das man zu 100 Prozent zu respektieren hat.

Dieses Interview wurde von Veit Heinichen autorisiert und ist honorarfrei verwendbar.
©Triest24.com

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